... und der Dachdecker verrechnete einen überhöhten Preis /
Eine bisher unbekannte Arbeit des Zeiler Zimmermanns Jörg Hofmann
Neben der Zeiler Heilig-Kreuz-Kapelle am Friedhof steht die schon oft bestaunte und in vielen Kunstführern beschriebene Kreuzigungsgruppe ("Golgathakapelle" genannt), die im Jahr 1623 als Sühnemal für einen begangenen Mord errichtet wurde, wie von Stadtchronist Hermann Mauer beschrieben. Dieses steinerne Mahnmal mit seiner "welligen Verdachung" wird zusammen "mit der Friedhofkapelle und dem Friedhof" als "eine malerische Gruppe" bezeichnet (Heinrich Mayer: Die Kunst des Bamberger Umlandes)...
Der fachkundige Steinmetz, der dieses Kunstwerk geschaffen hat, ist jedoch namentlich nicht bekannt, weil es keine schriftlichen Unterlagen darüber gibt. Experten vermuteten bisher nach stilistischen Vergleichen, daß es der aus dem schweizerischen Kanton Graubünden stammende Steinmetzmeister Giovanni Bonalino geschaffen habe, der in Scheßlitz geheiratet und um diese Zeit dort gelebt hatte.
Aus erhaltenen Quellen sind zahlreiche Arbeiten von Bonalino im Fürstbistum Bamberg bekannt, so z.B. das Fasanenhaus in Schloß Seehof, die Pankratius-Kirche auf dem Gügel, die Pfarrkirche in Kleukheim und der Chorbau von St. Stephan in Bamberg sowie verschiedene bauliche Arbeiten in seinem Wohnort Scheßlitz. Mit dem Leben und Wirken dieses Graubündner Handwerkers hat sich vor einigen Jahren auch die Kunsthistorikerin Dr. Angela Michel aus Presseck im Rahmen ihres Studiums näher beschäftigt. Im Zuge der dazu notwendigen Forschungsarbeiten für ihre Dissertation ("Der Graubündner Baumeister Giovanni Bonalino in Franken und Thüringen" Diss. F.U.Berlin 1996) war sie auch in Zeil, um die Kreuzigungsgruppe zu sehen und zu beurteilen. Nach ihrem stilkritischen Vergleich von Aufbau und handwerklicher Ausführung dieses Zeiler Bauwerkes mit Arbeiten von Bonalino in Coburg und Gügel kam sie zu dem Schluß, daß es nicht dessen Architektur entspreche. Zudem arbeitete Bonalino mit seinem Personal nachweislich 1623 auf Baustellen in Coburg und Weimar und konnte zeitlich und räumlich gesehen diese Arbeit nicht ausgeführt haben. Somit bleibt nach wie vor unbekannt, wer der Schöpfer dieses Kunstwerkes war.
Das heute vorzufindende Kunstdenkmal hat nicht mehr seine ursprüngliche Form, sondern es wurde zweimal verändert, wie auf der Suche nach Bauvorgängen in Zeiler Unterlagen festzustellen war. Das Bauwerk war anfangs mit einem einfachen flachen Dach versehen. Dieses lag an der Rückseite auf den beiden Säulen und der geschlossenen Rückwand auf und an der Vorderseite auf einem freitragenden Holzbalken. Dieser Balken hatte keine Mittelstützen und wurde im Abstand von 5,50 Metern von den beiden vorderen Außensäulen getragen. Da durch dieses einfache Dach gewichtsmäßig keine außergewöhnliche Belastung auftrat, genügte diese Konstruktion den Anforderungen, jedoch mit der Ausnahme, daß sich der freitragende Balken im Laufe der Jahre leicht nach unten durchbog. Genau diese Situation läßt sich auch jetzt noch auf der Rückseite des Bauwerkes anschaulich betrachten, denn das Dach der dahinterliegenden Aussegnungshalle im Friedhof ist genauso ausgebildet und der Balken biegt sich ebenfalls leicht durch.
Das alte Bauwerk von 1623 lag an der direkt vorbeiführenden Hauptstraße in Richtung Bamberg, war mit einem Opferstock versehen und so mancher Reisende hat wohl im Vorübergehen und beim Anblick der Kreuzigungsgruppe eine Geldmünze eingeworfen und ein Stoßgebet um einen sichere und unfallfreie Fahrt gesprochen.
Das einfache Holzdach aus dem Jahre 1623 war nach ca. 80 Jahren von Wind und Wetter stark angegriffen und schadhaft und die hiesige Kirchenverwaltung entschied um 1700, daß es erneuert werden sollte. Den Auftrag dafür übertrug man dem Zeiler Zimmermann Jörg Hoffmann, der es in seiner jetzigen Form im Jahre 1701 anfertigte. Das notwendige Material wie Holzbalken, Bretter, Leinöl und Nägel wurde von der Kirchenverwaltung beigestellt und der Meister bekam an Arbeitslohn 2 Gulden 3 Pfund 11 Pfennig ausbezahlt "Von Tach abzutrachen und wieder Uf Zue richten", wie es in der Gotteshausrechnung verbucht wurde. Nach getaner Arbeit bekamen er, seine Gesellen und seine sonstigen Helfer beim Aufrichten des Daches "4 Maaß" (= ca. 5 Liter) an "Weinn 1699iger Gewächs" für einen Umtrunk. Das neue Dach wurde auch noch vom Haßfurter Schieferdecker Servatio Engel mit Brettern vernagelt und mit Schieferplatten eingedeckt, er erhielt ebenfalls für seine Arbeit die notwendigen Bretter, Nägel und Kienruß gestellt und bekam für Lohn und die von ihm besorgten Schieferplatten 7 Gulden ausbezahlt. Auch Meister Engel bekam "4 Maaß" vom gleichen Wein "nach verfertigten Dach zum heiligen X" (=Kreuz).Der an den Schieferdecker bezahlte Preis war anscheinend den Rechnungsprüfern im Jahr 1702 zu hoch. Sie vermerkten deshalb unter den Mängelpunkten "Mann soll sich nach einem ander Schieffer Deckher bewerben".Die Kirchenverwaltung befolgte diesen Hinweis schon bald und anstatt des Haßfurter Meisters Servatio Engel wurde dann lange Jahre der Gochsheimer Schieferdeckermeister Caspar Schöner beschäftigt. Das neue Dach lag wiederum hinten auf den beiden Säulen und der Rückwand auf und vorne nur auf dem freitragenden Balken, der nur auf den beiden Außensäulen ruhte. Im Unterschied zur ersten Dachausführung war aber diese neue Konstruktion, die ja dazu auch noch mit Schieferplatten gedeckt war, wesentlich schwerer und es kam so nach und nach, was kommen mußte. Der gewichtsmäßig zu sehr belastete vordere Auflagebalken bog sich immer stärker durch, so daß das ganze Dach in Gefahr war, großen Schaden zu nehmen.
Was heutzutage jeder Baufachmann bei seinem Studium in der "Festigkeitslehre" erlernt und in Bezug auf "Biegefestigkeit" rechnerisch überprüfen kann, gab es damals nicht. Der ausführende Meister stützte sich nur auf die Kenntnisse und Erfahrungswerte aus seinem Berufsleben. Jörg Hoffmann hatte zwar um diese Zeit schon viele Fachwerkbauten errichtet, so. z.B. in Zeil, Scheßlitz und Burgkunstadt, wobei jedoch die Holzbalken über große Längen immer auf einem einigermaßen festen Mauerwerk auflagen und es bei einer fachmännischen Verstrebung und Verbindung keine Probleme gab. Ein freitragender Balken kam vielleicht einmal vor bei einer Hauseinfahrt mit ca. 3 Meter Breite, wobei der Balken aber links und rechts noch zusätzlich verstärkt werden konnte. Bei einem freitragenden Holzbalken mit 5,50 Meter Auflageabstand und einer starken Belastung von oben ohne jegliche Mittelstütze konnten deshalb Probleme nicht ausbleiben, hier wurde Jörg Hoffmann von seiner beruflichen Erfahrung im Stich gelassen. Dies sah anscheinend auch die Zeiler Kirchenverwaltung so, denn als sich der Schaden am Dach mehr und mehr vergrößerte und im Jahr 1711 eine Reparatur beschlossen wurde, nahm man zur Beseitigung des Schadens nicht mehr Jörg Hoffmann, sondern einen anderen Zeiler Zimmermann, nämlich den Caspar Reütter. Es wurde, sicher unter Zuziehung der materialkundigen örtlichen Steinhauer und Maurer, festgelegt, das schwere Dach mit einer stabilen Steinkonstruktion zu unterfangen, so wie sie dann auch aus-geführt wurde und heute noch zu sehen ist. Der Steinhauermeister Friedrich Wolff fertigte im Auftrag der Kirchenverwaltung zum Preis von 13 Gulden die nachträglich angebrachten zwei vorderen Mittelsäulen zur besseren Unterstützung. Die Witwe des Hannß Adam Kerzner lieferte mit ihren Gespannen 4 Fuhren Steine und 4 Fuhren Sand sowie die notwendigen Gerüststangen. Der Maurermeister Peter Heinrich brachte hinter der verzierten Steinbrüstung zwei quadratische Sockelsteine an, auf welchen die Mittelsäulen stehen sollten. Das ganze Dach wurde vorne angehoben, der verformte Holzbalken herausgenommen und dafür 7 steinerne Gesims- und Auflagestücke eingesetzt, die miteinander verklammert wurden, von unten her durch die nunmehr vier Säulen einen stabilen Halt bekamen und das schwere Dach aufnahmen. Die Arbeit des Maurermeisters Peter Heinrich dauerte drei Tage und wurde mit 5 Batzen je Tag bezahlt. Der Schmied Hannß Jörg Popp lieferte die Eisenklammern für die Querverbindung der Gesimsstücke. Der Zimmermann Caspar Reütter arbeitete ebenfalls drei Tage Hand in Hand mit dem Maurer, um das Dach auszubessern und wieder in Form zu bringen, er bekam an Lohn 4 Batzen je Tag bezahlt.
Das seit 1712 nicht mehr veränderte Bauwerk wurde natürlich vom Zahn der Zeit nicht verschont. Deshalb fand 1990/91/92 unter Mitwirkung der Denkmalschutzbehörden eine umfangreiche Sanierung statt. Deren Ziel war "eher eine Konservierung als eine Erneuerung", die von Fachleuten ausgeführten Restaurierungsarbeiten kosteten knapp 100.000 DM. Es bleibt zu hoffen, daß durch die aufwendiger und kostspielige Sanierung dieses bauliche Denkmal wieder für lange Zeit gesichert ist und auch noch kommenden Generationen als beeindruckendes Sühnemal für einen Mord und als Zeichen des leistungsfähigen hiesigen Zimmermanns- und Steinhauerhandwerks erhalten bleibt.
(1999 Copyright by Heinrich Weisel, Zeil.)